Dauerbrenner notarielles Nachlassverzeichnis

Inzwischen ein Klassiker erbrechtlicher Problemfelder: Ein pflichtteilsberechtigter Enterbter, beispielsweise Abkömmling, macht gegenüber einem Erben Pflichtteilsansprüche geltend. Um seinen Pflichtteil konkret beziffern zu können (er beträgt quotal die Hälfte der bei gesetzlicher Erbfolge geltenden Erbquote) benötigt der Pflichtteilsberechtigte umfassende Auskunft über den Bestand des Nachlasses.

Das Gesetz gibt in § 2314 Abs. 1 BGB dem Pflichtteilsberechtigten die Wahl, ob er ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis, also eine einfache Auskunft des Erben, anfordert oder die Auskunft des Erben durch ein sogenanntes notarielles Nachlassverzeichnis erbracht werden soll.

Die Gefahr, beim privatschriftlichen Verzeichnis von zahlungspflichtigen Erben nur Bruchteile des Nachlasses zu erfahren und insbesondere beispielsweise über pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkungen des Erblassers gar keine Kenntnis zu erlangen, ist hoch.

Deswegen gewinnt das notarielle Nachlassverzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten immer mehr an Bedeutung. Naturgemäß ist diese Art notarieller Tätigkeit eher außergewöhnlich und wird von vielen Kolleginnen und Kollegen noch immer argwöhnisch bis offen feindselig ablehnend betrachtet.

Die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zählt aber genauso wie alle anderen Tätigkeiten im Notariat zu den zu erledigenden Aufgaben und ist mithin genauso sorgfältig zu erbringen, wie jede andere notarielle Tätigkeit.

Aktuell hatte das OLG Köln erneut mit einem notariellen Nachlassverzeichnis zu tun, welches die Anforderung an ein solches Verzeichnis nicht erfüllte. Spätestens seit der Entscheidung des OLG Koblenz von 2014 (NJW 2014, 1972) dürfte allenthalben bekannt sein, welche Tätigkeiten im Notariat für die Erstellung eines solchen Verzeichnisses zu erfüllen sind. Zwar sind Notarinnen und Notare keine Detektive, müssen aber eigenständig den Bestand des Nachlasses ermitteln und können sich dabei nicht auf die Angaben der Erben verlassen.

Ist das Verzeichnis unvollständig, weil wesentliche Vermögenswerte zum Beispiel fehlen, wird mit einem unvollständigen Verzeichnis der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Der Pflichtteilsberechtigte kann dann klagen, was mit nicht unerheblichen Kosten zu Lasten des Pflichtteilsschuldners/Erben einhergeht. Für diesen empfiehlt es sich dann möglicherweise, gegenüber dem beurkundenden Notar/der Notarin im Prozess eine Streitverkündung vorzunehmen, um sich eventuelle Regressansprüche zu sichern. Das OLG Köln hat in seiner Entscheidung vom 08.11.2023, Aktenzeichen 24 W 49/23 noch einmal betont, wie wichtig die gründliche Ermittlung des Nachlassbestandes durch das Notariat ist. Es bleibt dabei, dass Notarinnen und Notare den Nachlassbestand selbst und umfassend ermitteln müssen und schon gar nicht auf den Erben und dessen Auskunftspflicht verweisen können. Im konkreten Fall hatte der Notar Abbuchungen von Erblasserkonten nicht weiter hinterfragt oder überprüft, ja nicht einmal Feststellungen zum Hausrat in der noch existierenden Erblasserwohnung getroffen. Ein Ärgernis für den Erben, der sich im Zweifel auf die Richtigkeit der Tätigkeit des Notars verlassen hat. Auch wenn es sich um eine lästige Tätigkeit handelt, sie ist gleichermaßen ordnungsgemäß zu erbringen.

Peter W. Vollmer
Notar, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht,
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht