Erbrecht (Rechtstipps)

Rechtsgebiet:Erbrecht
Autor:Vollmer
Datum:2016/11

Berliner Testament: Pflichtteilsgefahr bei Sozialhilfebezug von Kindern

Das Berliner Testament stellt die häufigste von Eltern gewählte testamentarische Gestaltung dar: Die Eltern setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein und benennen zugleich als Schlusserben nach dem Längstlebenden der Eltern die gemeinschaftlichen Kinder.

Um den überlebenden Ehepartnern vor Pflichtteilsansprüchen der (in diesem ersten Erbfall enterbten) Kinder zu schützen wird häufig eine sogenannte „Pflichtteilsstrafklausel“ aufgenommen. Danach soll dasjenige Kind, das einen Pflichtteil nach dem Tod des ersten Elternteils verlangt auch nach dem Tod des zweiten Elternteils nur seinen Pflichtteil erhalten.

Das Sozialgericht Mainz hat in einem aktuellen Urteil (23.08.2016 S 4 AS 921/15) nun in Bestätigung einer Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2010 festgehalten, dass ein Sozialleistungen beziehendes Kind gezwungen ist, trotz einer solchen Pflichtteilsstrafklausel im ersten Erbfall seinen Pflichtteil geltend zu machen.

Im konkreten Fall hatten die Eltern ein Berliner Testament errichtet. Einer von zwei Abkömmlingen bezog Leistungen des Jobcenter. Als der Vater im Jahr 2015 starb forderte das Jobcenter den Sohn ausdrücklich auf, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Der Sohn weigerte sich und war der Auffassung, dass dies von ihm nicht gefordert werden könne. Die über 80 Jahre alte Mutter sei Pflegestufe II und schwerbehindert, so dass eine besondere Härte vorläge.

Das Sozialgericht Mainz hat dies verneint. Es kommt zu dem Ergebnis, dass der Pflichtteilsanspruch des Sohnes einzusetzendes Vermögen i.S. von § 12 SGB II sei. Schon das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 betont, dass dieser Anspruch verwertbares Vermögen ohne Rücksicht auf die Pflichtteilsstrafklausel sei. Nach Ansicht des Sozialgerichts Mainz ist das vorhandene Barvermögen der Mutter als Alleinerbin ausreichend, so dass sie trotz Auszahlung an ihren Sohn nach Ansicht des Sozialgerichts noch mehrere weitere Jahre ihre finanziellen Verpflichtungen erfüllten könnte. Auch ein mit der gezwungenermaßen erfolgenden Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs einhergehenden familiären Belastung sieht das Sozialgericht Mainz als nicht ausreichend für die Annahme einer besonderen Härte an.

Das Urteil lässt erkennen, wie wichtig die individuelle Gestaltung letztwilliger Verfügungen ist, insbesondere wenn Abkömmlinge Sozialleistungen sei es wegen Behinderung oder aus sonstigen Gründen wie im vorliegenden Fall wegen Arbeitslosigkeit beziehen. In einer solchen Situation kann beispielsweise eine Gestaltung unter Verwendung von Vor- und Nacherbfolge (Eltern setzen sich als Vorerben und den betroffenen Abkömmling als Nacherben ein) und weiteren flankierenden Maßnahmenvermeiden.

gez. Vollmer, Rechtsanwalt und Notar