Selbstständiges Beweisverfahren zur Wertermittlung in Pflichtteilsangelegenheiten – sinnvolle Alternative zum Wertermittlungsverfahren nach § 2314 Abs. 1 BGB?

Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 03.01.2023, Az. 10 B 71/22) mit der Frage beschäftigt, ob ein Pflichtteilsberechtigter den Wert einer Nachlassimmobilie auch im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO feststellen lassen kann.

Dies hat das Oberlandesgericht bejaht und festgestellt, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht auf die Erhebung einer Auskunfts- und Wertermittlungsklage angewiesen ist.

In Pflichtteilsangelegenheiten wird regelmäßig über den Wert des Nachlasses zumindest diskutiert, häufig aber auch gestritten.

Der Pflichtteilsschuldner hat regelmäßig ein Interesse daran, die Werte möglichst gering anzusiedeln. Der Pflichtteilsgläubiger hat ein umfangreiches Bündel von Rechten zur Verfügung. Den Auskunftsanspruch einerseits, wie auch den davon separierten Wertermittlungsanspruch im Hinblick auf einzelne Nachlassgegenstände.

Dabei kann der Pflichtteilsberechtigte den Sachverständigen selbst nicht bestimmen oder auf der Einschaltung eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen bestehen. Nach der Rechtsprechung besteht lediglich ein Anspruch auf einen „anerkannten“ Sachverständigen.

Leider geht hier die Tendenz eher zu einer Verschlechterung der Qualität der Sachverständigen, teilweise geht sogar die gesetzgeberische Tendenz (siehe Land Hessen) dazu, die „Ortsgerichte“ mit dem Prädikat „Sachverständige“ zu versehen, was in höchstem Maße bedenklich ist.

Eine Wertermittlung ist etwas anderes als eine „Schätzung“, wofür die Ortsgerichte zuständig sind.

Daher läuft der Pflichtteilsgläubiger Gefahr, dass ihm ein Gutachten vorgelegt wird, welches nicht über die erforderlichen Qualitäten verfügt mit der Folge, dass über den Wert einer Immobilie auf Kosten der Pflichtteilsberechtigten möglicherweise weitere Gutachten zur Prüfung und Stellungnahme zum Erstgutachten eingeholt werden. Wird man sich nicht über den Wert der Immobilie einig, muss der Pflichtteilsberechtigte das Risiko tragen, im Rahmen einer Stufenklage oder Leistungsklage einen von ihm angenommenen höheren Wert beweisen zu müssen, was dann wiederum zur Einholung eines Sachverständigengutachtens führt.

Im Regelfall kommt es hier zur längeren Prozessdauer mit viel Aufwand für die Beteiligten.

Als mögliche Alternative dazu hat das Oberlandesgericht die Möglichkeit der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahren bestätigt: Der Pflichtteilsberechtigte muss sich nicht darauf verweisen lassen, das oben skizzierte Procedere durchzuführen, vielmehr ist er befugt, ein selbstständiges Beweisverfahren einzuleiten, das dafür rechtliche Interesse ist nicht durch die Möglichkeit des vorbeschriebenen Verfahren gehindert.

Der Vorteil eines solchen Verfahrens ist, dass der Pflichtteilsgläubiger einen Sachverständigen seiner Wahl vorschlagen kann, wenngleich das Auswahl- und Ernennungsrecht des Sachverständigen dem Gericht vorbehalten ist, § 492 ZPO i. V. m. § 404 ZPO.

Hier greift der Vorteil des § 404 Abs. 2 ZPO: Gibt es vereidigte Gutachter für die Wertermittlung, sind diese bevorzugt einzusetzen, so dass der Pflichtteilsberechtigte auf diesem Weg eher ein belastbares Gutachten erhält, was möglicherweise weiteren Streit und lange Verfahrensdauern im Hauptsacheverfahren ersparen kann.

Aber Achtung: Die Erfahrung in Baustreitigkeiten zeigt, dass ein vorher durchgeführtes selbständiges Beweisverfahren nicht die Gewähr dafür bietet, dass der so festgestellte Wert akzeptiert wird. Auch darüber kann im Hauptsacheverfahren noch trefflich gestritten werden, allerdings trägt dann der Pflichtteilsschuldner dafür die Vortrags- und Beweislast und damit auch die Kostenlast.

Zwar muss der Pflichtteilsgläubiger im selbständigen Beweisverfahren Kostenvorschüsse leisten, die Kosten dieses Verfahren werden aber auch von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren erfasst, § 493 Abs. 1 ZPO.

Vollmer
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht